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§ 22

Bildung der Fraktionen

(1) Abgeordnete derselben Partei können sich zu einer Fraktion zusammenschließen, wenn die Partei mit mindestens vier Abgeordneten im Landtag vertreten ist. Schließen sich Mitglieder des Landtages zusammen, die nicht derselben Partei angehören, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zustimmung des Landtages. Wollen Mitglieder des Landtages, die derselben Partei angehören oder aufgrund von Wahlvorschlägen derselben Partei in den Landtag gewählt wurden, mehr als eine Fraktion bilden, bedarf dies der Zustimmung des Landtages. Die Bildung einer Fraktion, die Namen ihrer oder ihres Vorsitzenden und der Mitglieder sind der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich mitzuteilen.

(2) Jede oder jeder Abgeordnete kann nur einer Fraktion angehören.

(3) Abgeordnete, die keiner Fraktion angehören, können sich einer Fraktion mit deren Zustimmung als ständige Gäste anschließen; die Anschlußerklärung und die Zustimmung sind der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich mitzuteilen.

(4) Dem, der oder den Abgeordneten der nationalen dänischen Minderheit stehen die Rechte einer Fraktion zu.

Kommentar

1. Rechtsnatur und Aufgaben der Fraktionen

1.1  Die Rechtsnatur der Parlamentsfraktion ist über Jahrzehnte umstritten gewesen. Die Fraktion als Teil ihrer Partei, die Fraktion als Organ des Parlaments, die Fraktion als öffentlich-rechtlicher Verein, die Fraktion als nicht rechtsfähiger Verein des Privatrechts waren die diskutierten Konstruktionen.

Die Landesverfassung setzt das Vorhandensein von Fraktionen im Landtag voraus (s. Artikel 18, 20 Abs. 4 und 5, 22a Abs. 1, 24 Abs. 2, 26 Abs. 2, 51 Abs. 2 Nr. 2 LV), ohne auf ihre Rechtsnatur einzugehen (Brüning, in: Becker/Brüning/Ewer/Schliesky, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2021, Art. 17 RN 14).

Ende des Jahres 1994 verabschiedete der Schleswig-Holsteinische Landtag in Anlehnung an den Elften Abschnitt des Abgeordnetengesetzes des Bundes das Gesetz über die Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen im Schleswig-Holsteinischen Landtag (FraktionsG vom 18. Dezember 1994, GVOBl. 1995, S. 4, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2023, GVOBl. 2023, S. 637). Nach seinem § 2 Abs. 1 sind Fraktionen rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Landtag. Sie können am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen und unter ihrem Namen klagen und verklagt werden (§ 2 Abs. 2 Satz 1 FraktionsG). § 2 Abs. 3 FraktionsG stellt überdies klar, dass Fraktionen nicht Teil der öffentlichen Verwaltung sind und keine öffentliche Gewalt ausüben.

Fraktionen sind also parlamentsrechtliche, mitgliedschaftlich organisierte, rechtsfähige Personenvereinigungen, zu denen sich Abgeordnete in Ausübung des ihnen von der Verfassung garantierten freien Mandats zusammengeschlossen haben. Fraktionen sind als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens ein politisches Gliederungsprinzip für die Arbeit des Parlaments und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung (BVerfGE 142, 25 RN 97; BVerfGE 80, 188, 219).

1.2  Der Aufgabenkreis der Fraktionen wird im Licht der verfassungsrechtlichen Stellung ihrer Mitglieder vom Geschäftsordnungsrecht und von den Fraktionsgesetzen bestimmt. Nach § 3 Abs. 1 FraktionsG wirken die Fraktionen an der Erfüllung der Aufgaben des Landtags mit. Das Bundesverfassungsgericht hat diese sehr knappe Aufgabenbeschreibung in seiner sog. „Wüppesahl“-Entscheidung ausführlicher wie folgt umschrieben (BVerfGE 80, 188, 216):

„Die Fraktionen steuern und erleichtern in gewissem Grade die parlamentarische Arbeit, indem sie insbesondere eine Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsame Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie eine umfassende Information der Fraktionsmitglieder unterstützen. Auf diese Weise fassen sie unterschiedliche politische Positionen zu handlungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammen.“

Nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts sieht die Landesverfassung in den Fraktionen „den Kristallisationspunkt der Wirkzusammenhänge der Parlamentspraxis“; die Fraktionen dienten der Effektivität und Optimierung der Parlamentsarbeit, indem sie Vorarbeit für eine sachgerechte und zügige Behandlung von Verhandlungsgegenständen des Landtags leisteten (LVerfG, Beschluss vom 26. April 2023, LVerfG 4/22, RN 195).

Da die Fraktionen den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit steuern und erleichtern, sind sie für die Leistungsfähigkeit des Parlaments von erheblicher Bedeutung. So verständigen sich die Fraktionen über den Arbeitsplan des Landtags und über die Besetzung der Stellen der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreterinnen oder Stellvertreter (§ 7 Abs. 2). Jede Fraktion ist im Ältestenrat – übrigens auch im Parlamentarischen Einigungsausschuss – mit einem Mitglied vertreten (§ 7 Abs. 1 und § 11 Abs. 2). Nach der Stärke der Fraktionen werden die ständigen Ausschüsse besetzt (§ 13 Abs. 2 und 3). Dies gilt auch für die Enquete-Kommissionen, wenn sich die Fraktionen nicht einvernehmlich anderweitig einigen (§ 12 Abs. 2). Die Fraktionen haben das Recht, Gesetzentwürfe einzubringen (§ 31 Abs. 2), eine Aktuelle Stunde zu beantragen (§ 32 Abs. 1), Große Anfragen zu stellen (§ 38 Abs. 1) und eine außerordentliche Tagung des Landtages herbeizuführen (§ 46 Abs. 2).

Prägenden Einfluss hat die fraktionsmäßige Gliederung des Parlaments auf dessen Debatten. Die Redezeiten zu jedem Tagesordnungspunkt werden für die Fraktionen festgesetzt (§ 56 Abs. 4 Satz 4). Im Rahmen der jeder Fraktion zur Verfügung stehenden Redezeit entscheidet diese, welches ihrer Mitglieder für sie spricht. Insoweit werden die Mitglieder der Fraktionen – unbeschadet des Rechts jeder und jedes Abgeordneten, einen Dreiminutenbeitrag zu jedem Tagesordnungspunkt zu leisten (§ 56 Abs. 4 Satz 5) – durch die Fraktion mediatisiert. Redezeitverlängerungen nach § 56 Abs. 7 und § 58 Abs. 2 stehen den Fraktionen zu, die ihrerseits wiederum festlegen, wer für sie sprechen soll.

Fraktionsintern wird der Arbeitsplan der Fraktion von dieser nach ihren politischen Vorhaben und der zeitlichen Reihenfolge ihrer Inangriffnahme festgelegt. Die Fraktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter unterstützen die Fraktionsmitglieder durch allgemeine Informationsbeschaffung, Materialzusammenstellungen, Entwurfserarbeitung und ähnliche Zuarbeit.

2. Bildung, Mindestgröße, Gäste, Ausschluss von Mitgliedern und Auflösung der Fraktionen

2.1  Aus der Rechtsnatur der Fraktion und ihrer Aufgabenstellung ergeben sich die auch vom Fraktionsgesetz aufgenommenen Voraussetzungen für ihre Bildung.

Die Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die ein verfassungsrechtlich abgesichertes freies Mandat innehaben. Deshalb bilden auch nicht die Abgeordneten, die derselben politischen Partei angehören, automatisch eine Fraktion. Die Fraktionsbildung beruht vielmehr auf einer in Ausübung des freien Mandats getroffenen Entscheidung der Abgeordneten (Artikel 17 Abs. 1 Satz 2 LV, § 1 Abs. 1 FraktionsG). Weder § 1 Abs. 1 FraktionsG noch § 22 Abs. 1 setzt für den Zusammenschluss zu einer Fraktion voraus, dass die betreffenden Abgeordneten derselben politischen Partei angehören. § 22 Abs. 1 Satz 2 macht aber im Falle eines Zusammenschlusses von Abgeordneten, die unterschiedlichen Parteien angehören, die Anerkennung als Fraktion von der Zustimmung des Landtages abhängig. Mit dieser Regelung hat der Geschäftsordnungsgeber von der Ermächtigung in § 1 Abs. 3 FraktionsG, „das Nähere“ zu regeln, Gebrauch gemacht. Zweck des Zustimmungserfordernisses ist es, missbräuchliche Fraktionsbildungen zu verhindern, also Zusammenschlüsse, die aufgrund ihrer politisch heterogenen Zusammensetzung die den Fraktionen zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllen können (Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 17 RN 9). Fraktionen sollen, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, eine Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsame Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen und damit unterschiedliche politische Positionen zu handlungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammenfassen (BVerfGE 80, 188, 231). Der Fraktionsbegriff setzt deshalb voraus, dass die unterschiedlichen politischen Positionen in der Fraktion zu kompromissfähigen Einheiten zusammengefasst werden können, dass sich also die Fraktionsmitglieder in einem politischen Grundkonsens befinden.

Ebenfalls der Zustimmung des Landtages bedarf es, wenn Abgeordnete, die derselben Partei angehören oder aufgrund von Wahlvorschlägen derselben Partei in den Landtag gewählt wurden, mehr als eine Fraktion bilden wollen (Absatz 1 Satz 3). Die im Jahr 2017 eingeführte Vorschrift dient ausweislich ihrer Begründung dem Zweck, eine missbräuchliche Vervielfachung von Fraktionsrechten unterbinden zu können, wenn die Bildung sogenannter Parallelfraktionen angestrebt wird (Drs. 19/6, S. 6). Dabei handelt es sich um Fraktionen, die sich aus Abgeordneten einer Parteizugehörigkeit zusammensetzen, die derjenigen der Abgeordneten einer bereits bestehenden Fraktion entspricht. Das Zustimmungserfordernis erfasst sowohl die Bildung einer Parallelfraktion im Konsens der beteiligten Abgeordneten (sog. Fraktionsmehrung) als auch diejenige im Dissens (sog. Fraktionsspaltung), vgl. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 48; Lenz/Morlok/Nettesheim, Zulässigkeit und Grenzen der Bildung von „Parallelfraktionen“, Gutachten im Auftrag des Landtags von Baden-Württemberg, 2016, S. 7. Die Fraktionsmehrung ist als unzulässig und damit nicht anerkennungsfähig anzusehen; der mit der Nichtanerkennung verbundene Eingriff in die vom freien Mandat der Abgeordneten umfasste Assoziationsfreiheit ist gerechtfertigt, weil damit eine missbräuchliche Vervielfachung von Fraktionsrechten unterbunden wird (Drs. 19/6, S. 6). Der Fraktionsspaltung werden hingegen missbräuchliche Motive regelmäßig nicht zugrunde liegen; gleichwohl dürfte sie angesichts der auch mit ihr verbundenen Verschiebung der Machtverhältnisse im parlamentarischen Wettbewerb nur dann zulässig sein, wenn sie auf einem offenkundigen, tiefgreifenden und umfassenden politischen Dissens beruht. Um vor diesem Hintergrund eine Entscheidung des Landtages unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Sachverhalts zu ermöglichen und dem hohen Stellenwert der Assoziationsfreiheit Rechnung zu tragen, ist anstelle eines pauschalen Verbots die Bildung von Parallelfraktionen – gleichlaufend mit § 22 Abs. 1 Satz 2 – unter den Vorbehalt einer Zustimmung des Landtages gestellt (Drs. 19/6, S. 7).

2.2  Insbesondere für den Beginn der Zahlung der Fraktionskostenzuschüsse ist entscheidend, ab wann eine Fraktion als solche anerkannt werden kann. Da die Fraktion ein Zusammenschluss von Abgeordneten ist, kann sie logischerweise erst dann gebildet werden, wenn ihre Mitglieder den Abgeordnetenstatus erlangt haben. Nach § 42 Landeswahlgesetz erwerben die gewählten Bewerberinnen und Bewerber nach der Landtagswahl die Mitgliedschaft im Landtag und damit den Abgeordnetenstatus mit dem fristgerechten Eingang der schriftlichen Annahmeerklärung ihrer Wahl bei der Landeswahlleiterin oder beim Landeswahlleiter oder mit der fiktiven Annahme gemäß § 41a Satz 4 Landeswahlgesetz, jedoch nicht vor Ablauf der Wahlperiode des letzten Landtags. Da nach Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 LV die Wahlperiode des letzten Landtags erst mit dem Zusammentritt des neu gewählten Landtags endet, erlangen die Gewählten auch erst zu diesem Zeitpunkt ihre Mitgliedschaft im Parlament.

Natürlich konstituieren sich die „Fraktionen“, d. h. die gewählten Bewerberinnen und Bewerber, die beabsichtigen, nach Konstituierung des neuen Landtags eine Fraktion zu bilden, bereits vor diesem Zeitpunkt, denn es sind vorbereitende Entscheidungen und Vereinbarungen bereits vor der ersten Sitzung des neuen Landtags zu treffen. So ist über eine Geschäftsordnung der zukünftigen Fraktion zu beschließen, sind deren Organe zu wählen und die übrigen Funktionen in der Fraktion zu besetzen. Mit den anderen politischen Gruppierungen im zukünftigen Landtag sind Absprachen über den Ablauf der konstituierenden Sitzung des Landtags und die Besetzung der parlamentarischen Ämter zu treffen. Weil die Fraktionen de jure aber noch nicht existieren, stehen diese vorbereitenden Entscheidungen und Absprachen unter dem Vorbehalt, dass die nach der Landtagskonstituierung auch formell gebildeten Fraktionen sie ausdrücklich oder stillschweigend übernehmen.

2.3  Auch für die Mindestgröße einer Fraktion bietet deren Aufgabenkreis, wie ihn das Bundesverfassungsgericht umschrieben hat, ein wichtiges Kriterium. Dieser Aufgabenkreis umfasst im Wesentlichen die Bereitstellung von Informationen und unterstützende Zuarbeit für die Fraktionsmitglieder sowie insbesondere die Koordination und Abstimmung der von diesen betriebenen politischen Vorhaben. Bei der Festlegung, ab welcher Fraktionsstärke eine derartige abstimmende und koordinierende Tätigkeit der Fraktion erforderlich wird, ist dem Geschäftsordnungsgeber ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. § 22 Abs. 1 Satz 1 legt die Mindeststärke einer Fraktion im Landtag auf vier Abgeordnete fest. Das entspricht bei derzeit 69 Abgeordneten einem Anteil von ca. 5,8 %.

2.4  Jede und jeder Abgeordnete kann nur einer Fraktion angehören (§ 22 Abs. 2). Abgeordnete, die keiner Fraktion angehören, können von einer Fraktion als ständige Gäste aufgenommen werden. Dass dies geschehen ist, ist der Präsidentin oder dem Präsidenten schriftlich mitzuteilen (§ 22 Abs. 3). Über den Umfang der Rechte, die ein ständiger Gast einer Fraktion in deren Rahmen und nach außen genießt, enthält die Geschäftsordnung keine Regelung. Es ist insoweit zunächst davon auszugehen, dass der Fraktionsgast kein Fraktionsmitglied ist. Bei den Regelungen, die auf die Stärke der Fraktion abstellen, kann er deshalb nicht mitgezählt werden (siehe z.B. § 13 Abs. 2 und 4). Aber auch bei der Berechnung der Höhe des Fraktionskostenzuschusses nach § 6 Abs. 2 FraktionsG (Anzahl der Pro-Kopf-Steigerungsbeträge) zählt der Fraktionsgast für die Fraktion nicht mit. Um dies zu erreichen, müsste der Gast als Fraktionsmitglied aufgenommen werden.

Soweit es darum geht, ob und in welchem Umfang der Fraktionsgast die Hilfestellung der Fraktion für seine Arbeit in Anspruch nehmen und inwieweit der Gast für die Fraktion parlamentarisch handeln darf, kommt es auf die Vereinbarungen zwischen ihm und der das Gastrecht gewährenden Fraktion an. Die in letzterer Hinsicht getroffenen Vereinbarungen sollten in die Mitteilung an die Präsidentin oder den Präsidenten nach § 22 Abs. 3 aufgenommen werden, damit im Parlament Klarheit herrscht, inwieweit der Gast einer Fraktion für diese in der parlamentarischen Arbeit auftreten darf.

2.5   Die Fraktionen des Landtages sind, auch wenn dies im schleswig-holsteinischen Landesverfassungsrecht nicht ausdrücklich geregelt ist, grundsätzlich berechtigt, einzelne ihrer Mitglieder auszuschließen. Die insoweit geltenden verfahrensrechtlichen Anforderungen und materiellen Voraussetzungen sind dem Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 29. August 2019 (LVerfG 1/19, RN 45 ff.) zu entnehmen: Hiernach obliegt die Entscheidung über einen Fraktionsausschluss allein der Fraktionsversammlung. Den betroffenen Abgeordneten ist rechtliches Gehör zu gewähren. In materieller Hinsicht darf der Ausschluss nur aus wichtigem Grund erfolgen; ob ein solcher gegeben ist, muss im Rahmen einer angemessenen Abwägung zwischen dem Interesse der oder des betroffenen Abgeordneten an der Mitarbeit in der Fraktion und dem Interesse der Fraktion an der Selbstbestimmung über ihren Mitgliederbestand beurteilt werden. Ein wichtiger Grund kann insbesondere angenommen werden, wenn das für eine sinnvolle Meinungsbildung und Arbeit der Fraktion erforderliche Mindestmaß an prinzipieller politischer Übereinstimmung fehlt oder wenn das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört ist, dass den anderen Mitgliedern die weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann, ferner, wenn Abgeordnete das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädigen; auf ein Verschulden im Rechtssinne kommt es dabei nicht an. Die Beurteilung, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, obliegt zuvörderst der Fraktion selbst; ihr steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung über den Ausschluss ist folglich materiell auf eine Willkürkontrolle beschränkt (LVerfG, a.a.O., RN 66).

2.6  Eine Fraktion verliert ihren Fraktionsstatus mit dem Ende der Wahlperiode, wenn sie selbst ihre Auflösung beschließt, wenn sie durch den Austritt oder den Ausschluss von Mitgliedern unter die Mindestmitgliederstärke nach § 22 Abs. 1 Satz 1 sinkt oder wenn die Fraktionsmitglieder infolge eines Parteiverbots durch das Bundesverfassungsgericht nach Maßgabe des § 52 Landeswahlgesetz ihr Landtagsmandat verlieren. Die Rechtsfolgen der Auflösung der Fraktion regelt § 11 FraktionsG.

3. Die Sonderstellung der Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW)

Nach § 1 Abs. 2 FraktionsG stehen der, dem oder den Abgeordneten der dänischen Minderheit die Rechte einer Fraktion zu. Wenngleich das Fraktionsgesetz nur von „dänischer Minderheit“ und nicht von der „nationalen dänischen Minderheit“ spricht, wie sowohl die Landesverfassung (Artikel 5 Abs. 2 Satz 2) als auch die Geschäftsordnung in § 22 Abs. 4, sind die Begriffe inhaltlich als identisch anzusehen. Den Abgeordneten des SSW als Partei der dänischen Minderheit (dazu LVerfG, Urteil vom 13. September 2013 – LVerfG 7/12, RN 56 ff.) stehen, sofern sie nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 eine Fraktion gebildet haben, grundsätzlich alle Rechte einer Fraktion zu.

In der 15. WP galt dies indes für die Zuerkennung eines Grundmandats bei der Ausschussbesetzung nach der damaligen Fassung des § 13 Abs. 3 Satz 1 nur, wenn die Partei bei der Landtagswahl fünf vom Hundert der gültigen Stimmen erreicht hatte.

4. Fraktionsfinanzierung

Nach § 6 Abs. 1 FraktionsG haben die Fraktionen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anspruch auf Geld- und Sachleistungen gegen das Land. Die Geldleistungen setzen sich aus einem Grundbetrag für jede Fraktion, aus einem Betrag für jedes Mitglied und einem Oppositionszuschlag für jede Fraktion, die nicht die Landesregierung trägt, zusammen. Die Höhe dieser Beträge und des Oppositionszuschlages sind in § 6 Abs. 2 FraktionsG festgelegt. Nach § 6a Abs. 1 FraktionsG werden die Geldleistungen beginnend am 1. Januar 2025 jährlich nach Maßgabe von Satz 2 an die Einkommensentwicklung angepasst. Über die Anpassung beschließt der Landtag jeweils innerhalb des ersten Halbjahres nach der konstituierenden Sitzung mit Wirkung für die gesamte Wahlperiode (§ 6a Abs. 2 FraktionsG).

5. Zusammenschlüsse von Abgeordneten ohne Fraktionsstatus

Abgeordnete können sich aufgrund des freien Mandats auch dann mit anderen Abgeordneten dauerhaft zur gemeinsamen parlamentarischen Arbeit zusammenschließen, wenn die für die Fraktionsbildung erforderliche Mindeststärke nicht erreicht wird (BVerfGE 84, 304, 322 f.; Hölscheidt, Parlamentsfraktionen, 2001, S. 427; H. H. Klein, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 18 RN 10). Auch derartige Zusammenschlüsse von Abgeordneten tragen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Landtags zur Steuerung des parlamentarischen Geschehens bei, indem die Mitarbeit einer größeren Anzahl fraktionsloser Abgeordneter vermieden wird, die zu erheblichen Reibungsverlusten führen kann (VerfG Brandenburg, Urteil vom 22.7.2016 – VfGBbg 70/15, juris, RN 158). Während im Bundestag ein derartiger Zusammenschluss formal als Gruppe anerkannt werden kann (§ 10 Abs. 4 GO-BT), enthält weder die Landesverfassung noch die Geschäftsordnung des Landtages Regelungen zu einem derartigen Gruppenstatus. Eine Verpflichtung, Zusammenschlüsse von Abgeordneten als Gruppen mit eigenen Rechten anzuerkennen, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundestag dann, wenn dem Zusammenschluss aufgrund seiner Größe nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit ein Ausschusssitz zustünde (BVerfGE 84, 304, 323 f.). Dies ist nach den geltenden Geschäftsordnungsregelungen zur Sitzverteilung (§ 13) für Zusammenschlüsse von drei Abgeordneten nicht der Fall.

Die Frage, welche Beteiligungsrechte Zusammenschlüssen von Abgeordneten ohne Fraktionsstatus zuzugestehen sind, ist nach Maßgabe des freien Mandats nach Artikel 17 Abs. 1 LV einerseits und der Geschäftsordnungsautonomie des Landtags nach Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 LV andererseits zu beantworten (vgl. hierzu auch LVerfG, Urteil vom 17. Mai 2017 – LVerfG 1/17, RN 41). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass unabhängig vom Zusammenschluss mehrerer Abgeordneter zu einer Fraktion oder ihrer Anerkennung als Gruppe sich im Blick auf die Mitgliedschaft und Mitarbeit in den Ausschüssen des Bundestages aus dem Prinzip der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten Mitwirkungsrechte und Organisationsbefugnisse einer bestimmten Zahl von Mitgliedern des Bundestages ergeben, jedenfalls wenn sie sich wegen gleicher Parteizugehörigkeit oder aufgrund eines Wahlbündnisses zusammengeschlossen haben (BVerfGE 84, 304, 323). Da solche Zusammenschlüsse von Abgeordneten nicht in gleicher Weise wie Fraktionen zur parlamentarischen Willensbildung beitragen können und entsprechend auch die von ihnen zu bewältigenden Aufgaben geringer sind, ist eine differenzierte Behandlung von Fraktionen und Zusammenschlüssen von Abgeordneten ohne Fraktionsstatus dem Grunde nach gerechtfertigt (Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 RN 236). Eine solche Differenzierung muss aber von hinreichenden sachlichen Gründen getragen sein. Vor dem Hintergrund dieser Maßgaben hat der Landtag in der 19. WP einen Zusammenschluss aus drei Abgeordneten der ehemaligen AfD-Fraktion anerkannt und diesem auf der Grundlage einer Verständigung im Ältestenrat bestimmte Redezeiten sowie gemäß § 10 Abs. 1 FraktionsG Geld- und Sachleistungen zuerkannt (Drs. 19/2582; Umdruck 19/4840).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 22. April 2024

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